Willkommen im 21. Jahrhundert. Falls ihr schon länger als nur fünf Minuten wach seid und schon mit irgendwelchen Medien konfrontiert wurdet, werden meine verehrten Leserinnen und Leser bestimmt mitbekommen haben, dass Polens Präsident Lech Kaczynski sich samt Gattin und 87-köpfiger Delegation mit seiner Tupolev im russischen Smolensk in den Boden gebohrt hat.

Unabhängig davon, was ich von der Politik des Kaczynskis halte, ist das tragisch. Der Tod keines Menschen ist schön, egal wie er im Leben war und was er verbrochen hat – sonst wäre ich ja eine fröhliche Befürworterin der Todesstrafe. Leben ist wertvoll, jemand hat diese Menschen geliebt, mit ihnen gelacht und sie werden sicherlich einen großen leeren Platz hinterlassen.

Medialer Umgang mit dem Tod des polnischen Präsidenten

Aber ich bin nicht für Trauerarbeit hier. Als ich eben – zugegebener Maßen noch halb im Tiefschlaf – auf der Suche nach Nachrichten durch die Kanäle zappte und bei N24 landete, traf mich der Anblick der auf Schleife laufenden Bilder irgendwie unvorbereitet. Nicht das es besonders entsetzlich wäre…  Bäume, Matsch und verbogenes Metall. Aber die Maschine ist um 8.50 Uhr MESZ verunglückt. Gerade mal zwei Stunden später werden mir hier in Europa Bilder von hektisch umherrennenden russischen Feuerwehrmännern und die Absturzstelle in Nahaufnahme gezeigt. Dort sieht man Rauch, da einige Fetzen in den Bäumen, irgendwelche Menschen stolpern umher, Feuerwehrmänner versuchen Flammen im auseinandergebrochenen Flugzeug zu löschen, Wrackteile sind zu sehen. Die Kamera zoomt näher an Einzelteile heran, irgendwas unangenehm rötliches ist zu sehen, nicht genau erkennbar was, aber das Gehirn spielte eine Sekunden lang einen entsetzlichen Streich und mir wird schlagartig in meiner Nachrichten- und Mediengeilheit bewusst: da liegen Menschen. Oder besser gesagt: Irgendwo in diesem immensen grauen Matschhaufen liegen jetzt menschliche Versatzstücke. Puzzelteile. Auch wenn das nicht erkennbar ist, die Leichenteile der Opfer werden die innerhalb von zwei Stunden wohl kaum da rausgefummelt haben. Ich habe – allen Göttern sei Dank – noch nicht so viele Flugzeugabstürze und deren Berichterstattung mitbekommen, aber sind diese Bilder normal? Mir dreht sich sanft der Magen um und aus meinem Mund blubbert es nur leise „Aber das können die doch nicht zeigen!“ – Doch können sie. Wenn es blutet – halt drauf. Das bringt Quote. Das wollen die Zuschauer sehen. Und du gehörst dazu. Würg.

Gerahmt wird das ganze von heruntergeblubberten inhaltsleeren Nachrufen und dem Telefonbericht eines Reporters, der die tiefe Männerverbindung Lech Kaczynskis zu Guido Westerwelle beim Kaffeetrinken analysiert. Ja danke auch… Ich geh dann mal kotzen.

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7 Responses to “Wenns blutet: Halt drauf!”

  1. Baboon Says:

    Naja, er war nun mal ein Präsident eines europäischen Staates, da wird nun einmal soviel Wind drum gemacht wie es geht, auch wenn es die meisten hier wohl weniger Interessiert. In Polen wäre das wohl was anderes, da ist es von Interesse und da wollen die Menschen soviel mitbekommen wie nur irgendwie möglich. Natürlich sollten Medien keine Leichen zeigen, aber das Tabu wurde schon vor längerer Zeit gebrochen und ich glaube, es wird sich auch nicht mehr ändern lassen.

    Lieben Gruß

    PS: Deine Farbe macht mich irgendwie Blind 😉

  2. Shermin Arif Says:

    Baboon – ich weiß, ich kann die Welt nicht ändern, aber ich kann zumindest meinen Senf dazu abgeben. 😉
    Und..öhm.. welche Farbe meinst du? Das schicke Dunkelpink des Templates?

  3. Baboon Says:

    Genau die Farbe, ich habe ne halbe Stunde gebraucht um wieder Streifenfrei zu sehen 😉

  4. Shermin Says:

    *lacht* Sei tapfer und steh es durch wie ne Frau. 😉

  5. eni Says:

    Hmm, ich kann nicht sagen das ich die Bilder schlimm oder sogar ungewöhnlich empfinde. Bilder von Unglücksorten mit teils noch brennenden Trümmern oder von Suchmannschaften und Rettungsdiensten bei der Arbeit sind doch eigentlich normale Bereichterstattung, oder?

    2001 saß ich auch den ganzen Nachmittag/Abend vor dem TV und hab die Türme live einstürzen sehen. Da war ja auch klar das sich Menschen da drin gerade im Todeskampf befinden und trotzdem wurde es ununterbrochen gezeigt. Die Bilder liefen, IIRC, sogar in einem kleinen Kästchen während der Werbepausen weiter.

    Ich weiss nicht wie ich es erklären soll aber ich empfinde das nicht als abstossend sondern eher als mahnend. Es ist mir wesentlich lieber Bilder der Absturzstelle zu sehen und die Menschen dort, als eine StudioFotomontage mit einem Flugzeug und dazu einen trockenen Kommentar. Die Bilder machen bewusst wie Ernst das ist. Eine einfache Newsmeldung tut das, nach meinem Empfinden, nicht.

    Meine persönliche Grenze erreiche ich wenn sterbende Menschen direkt öffentlich gezeigt werden bzw. deren Ermordung. Sterben ist m.E. etwas privates und muss nicht öffentlich dokumentiert werden. Das Online-Video damals von dem Mädchen das gesteinigt wurde hängt mir Heute noch nach. Ich kann die Bilder davon nicht vergessen und mir geht das immer noch arg aufs Gemüt.

    Aber auch davon gibt es Ausnahmen, z.B. mit dem momentanen Wikileaks Video. Hier empfinde ich das direkte Zeigen der Erschiessungen zusammen mit den Kommentaren für den Effekt in der Öffentlichkeit als wichtig. Ohne die Bilder würde das Echo nicht so krass ausfallen.

    Ist schwer zu beschreiben. Ich denke da hat auch jeder eine persönliche Grenze bis wohin er/sie schauen kann/mag und es kommt auch sehr darauf an WO es gezeigt wird und zu welchem Zweck. Ein Nachrichtenkanal kann sich mehr erlauben als eine Nachmittagsnewssendung im regulären TV Serien Programm. Als Newsflash während des Kinderprogramms würde ich das jetzt auch nicht gezeigt haben wollen 🙂

    ~eni

  6. eni Says:

    *eeeks* … sorry, zu lang geworden ^^;;;

  7. Shermin Says:

    Kein Problem, ich musste dich nur erstmal für die Kommentarfunktion freischalten. 😉

    Zum Thema: Ich habe auch damals wie gelähmt und geschockt (und heulend) vorm Fernseher gesessen und gesehen wie die Menschen vor Verzweiflung aus den Türmen sprangen. Und ich bete wirklich darum, nie wieder sowas sehen zu müssen. Ich denke viele würden einiges dafür tun, damit diese lehrreiche Stunde der Menschheit nicht stattgefunden hätte.

    Klar ist die Grenze sehr persönlich und von Mensch zu Mensch unabhängig. Meine persönilche Grenze wurde heute Morgen halt definitv überschritten. Aber vor allem resultierend daraus, dass ich da – wahrscheinlich wie ein großer Rest der Menschheit – zunächst sehr abgestumpft und verpennt zusah, wie die Leute über die Trümmer latschten. Mein Gehirn mir dann einen kleinen Streich gespielt hat (nicht nur mir, mein Mann hat in dem Moment durchaus ähnlich reagiert) und ich daraufhin erst eines begriff: Hey – vor knapp zwei Stunden sind dort, genau an diesem Punkt, knapp 100 Leben erloschen. In derselben Sekunde. Einfach weg. Und dort wo der Kameramann gerade die Totale fährt, liegen ihre zerstückelten Leichen unter der braunen, mit zersplitterten Bäumen gespickten Suppe. Im nächsten Schwenk sahst du dann noch eine Horde gieriger Journalisten, die halt einfach ihrem Job nachgingen und wie wild fotografierten.

    Sorry, aber mir ist in dem Moment halt übel geworden. Richtig übel. Durchaus auch wegen mir selbst. Vielleicht habe ich mich da ja etwas affig und weltfremd, aber ich finde Berichterstattung über ein weltpolitisches Thema ist die eine Sache, gieriges Ausschlachten von Menschenfetzen ne andere. Meine Ansicht halt.

    Liebe Grüße

    Shermin

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