Archive for the ‘ Alltag ’ Category

Meine freundliche Filterbubble hat in letzter Zeit immer mehr Einschläge zu verzeichnen. Leise frage ich mich, ob es wirklich mehr ist oder  ich schlicht sensibilisierter bin. Ich weiß es nicht und hoffe schlicht auf Letzteres.

Das fing für mich mit dem netten Alltagsrassismuskörbchen im letzten Januar an, ging weiter mit harmlos erscheinenden Sätzen, die man zum Beispiel bei Facebook liest („Ich hab ja nichts gegen Ausländer… aber!“, „Ich bin ja selbst Ausländerin – deswegen darf ich sowas sagen!“, „Die Asylbewerber sind einfach auch auf dem Platz, wo ich sein will. Dazu haben die kein Recht!“), wurde begleitet von den üblichen Sprüchen bei Realbegegnungen („Oh, da hatte ich aber jetzt jemand mit dunklerer Haut erwartet!“, „Sie sprechen aber gut Deutsch!“)  und wurde zuletzt damit gekrönt, dass ich mich in einer Gruppe von Frauen wiederfand, die sich gegenseitig in ihrem Alltagsrassismus bestärkten und Argumente relativierten. Derailing wie aus dem Lehrbuch.

Passiert in einem Kurs, in dem ich mich seit einem Jahr befinde und wo mich sehr wohl und sicher fühle. Alle Anwesenden weiblich, das Gros Ende 20 bis Mitte 30 und mit akademischer Bildung. Jede Einzelne würde sich wohl niemals als Rechte bezeichnen und sich eher dagegen empören.
Aber genau dort darf ich mir von einer privilegierten, weißen, blonden Frau genervt erklären lassen, dass sie das N-Wort als voll okay empfindet. Weil sie meint es ja nicht „so“.
Scheiß drauf, wie es anderen Menschen damit geht, wenn man sie mit einem abwertenden Begriff zusammenfasst, der vor kolonialer Vielschichtigkeit geradezu trieft. Ich ertrage es nicht, dabei den Mund zu halten. Vielleicht wäre das weiser für mich. Doch diese Art von Weisheit hatte ich schon in der Grundschule nicht, als ich eine Freundin gegen dummrassistische Sprüche zu verteidigen versuchte. Die über 25 Jahre dazwischen haben das scheinbar nicht geändert.
Ich stehe alleine da. Versuche zu erklären, dass „es“ eben nicht okay ist. Eine Freundin versucht halbherzig zu vermitteln. Der Rest schweigt (und billigt damit stumm) oder ist sich offen einig:  Solche Diskurse sind im Grunde übertrieben. Unnötig. Genau wie dieser Feminismus und dieses nervige angehängte „in“. Man solle seine Kräfte doch lieber auf echte Sachen konzentrieren und wirklich was verändern.
Ich versuche zu argumentieren, krampfhaft ruhig zu bleiben, während ich merke, dass sich meine Stimme hebt.
Irgendwann verstumme ich. Presse die Lippen aufeinander. Weil… entweder schreie ich gleich mein Entsetzen heraus oder ich weine. Beides will ich nicht. Keine Blößen zeigen. Nicht früher fliehen. Nicht die Kehle darbieten. Ich harre aus. Bleibe auf meinem Platz. Als die Zeit um ist, packe ich meine Sachen zusammen und gehe. Mein Gesicht, meine Arme und Beine wollen mir nicht so recht gehorchen. Erst Daheim fühle ich mich sicherer.

Und ich stelle erneut für mich fest: Der Rassismus hat wieder seinen Platz in der Mitte der Gesellschaft bekommen. Oder besser gesagt: Er war schon immer da, ist aber jetzt endlich wieder salonfähig geworden. Mein untertänigster Dank an Sarrazin, PI und andere intellektuelle nationalkonservative  Gruppierungen.

Es ist beklemmend und bedrohlich. Gerade, dass es aus der gebildeten, denkenden Ecke kommt, macht es für mich schlimmer. Ich kann es nicht einfach als simple Dummheit der bildzeitungslesenden Masse abtun. Atem-beraubend. Atem raubend. Wie ein Alb, der einem nicht nur auf, sondern in der Brust hockt, seine Arme um die Lungen und die Seele schließt und zu drückt.  So fühlt frau sich dabei. Der Gedanke: Flucht. Aber wohin? Auf einen anderen Planeten? Mehr oder weniger gedankenloser Rassismus existiert in jedem Land. Ich kann und will vor meiner Heimat nicht die Augen schließen und sie damit verdammen, dass ich sie solchem Gedankengut ohne jegliche Gegenwehr überlasse.

Geschrieben in der Hoffnung, dass ich hier auch in  Zukunft mein  Zuhause habe. Und mit großem Dank an die Menschen – quer durchs Netz -, die mich an diesem Abend aufgefangen und damit Fassungslosigkeit und Betäubung abgefedert haben.

 
Oktober 7th, 2013 (Alltags-)Rassismus, Alltag, Menschen, Monster - Mumien - Mutationen | 2 Comments
 
 

… leider. Nämlich in meiner Wohnung. Beziehungweise momentan auf unserer Terrasse. Samt Staubsauger. Lacht nicht.  Ich spreche wirklich kein Anglerlatein, wenn ich sage, dass ich in freier Wildbahn noch nie so eine riesige Spinne gesichtet habe. Und dabei klebte das Vieh schon drei Meter über mir an der Decke.

Ich mag Spinnen nicht, aber ich kann sie in Grenzen tolerieren, besonders wenn sie im Sommer leckeres Ungeziefer wie Motten und Mücken vernaschen. Neben meinem Sofa wohnt seit Monaten eine keine unschuldige Hausspinne, die ein sehr zurückhaltendes Wesen hat und auf den Namen Elvira getauft wurde (Ihr Mann Horst wohnt einige Zentimeter tiefer, nimmt sich aber ab und an mal eine beziehungstechnische Auszeit von Elvira. Vielleicht verspeist sie ihn auch in regelmäßigen Abständen und ich bin schon Horst II- IV begegnet? Und nein, ich bin nicht total gaga.) Was ich nicht mag ist, wenn  ich Arachniden begegne, die mich sanft an Hagrids Aragog erinnern und mit ihrem Anblick dafür sorgen, dass sich bei mir gleich der ganze Schopf und nicht nur vereinzelte Nackenhaare aufstellen.

Und ich fürchte die kleine Tarantula will zurück ins Warme. Der Illusion, dass unser Staubsauger genug Saugkraft hatte, um dieses gigantische Vieh zu zermalmen, gebe ich mich nicht wirklich hin. Viel eher hat sich dieses behaarte Spinnenmonster wahrscheinlich Innen am geriffelten Schlauch festgeklammert, nachdem es sich schon problemlos geweigert hatte überhaupt eingesaugt zu werden. Der Liebste musste das Staubsaugerrohr unter die Spinne klemmen und das emsig vor sich hin spinnende Vieh quasi von der Wand schälen.

Jetzt befällt mich die Frage – war Tarantula alleine? Oder plante sie schon Nachwuchs? Gehört eventuell eine ganze Sippe dazu? Ich stell mir das richtig schön vor, wie die großen Schwestern und die Mama in irgendeiner dunklen Ecke der Wohnung bösartig grinsend auf sie einredeten, damit sie da draußen mal gucken geht. „Komm, Klaiine… sträck mal die Füßchen da raus. Mach nurrr.. mach nurrr.. Wirrr wollen ääxpandieren, sieh mal, wirr trätän uns schon gegenseitig auf die Netze und deine Nichten und Neffen schlüüüpfen bald aus ihren Eiern. Sieh dich um, dirrrr passieeert schon nichts…!“ Nicht, dass ich nachher das spinnentechnische Äquivalent einer Vendetta an meiner Zimmerdecke habe… (Und warum haben die Spinnen in meinem Kopf eigentlich einen so seltsamen russischen Der-Pate-KGB-Akzent…? (Ich fürchte der letzte Satz hinterlässt keinen guten Eindruck von meinem Geisteszustand… Aber die Spinne – ihr wisst schon.))

Und nein, Fotos gibt es keine, ich war viel zu sehr damit beschäftigt auf einem beschuhten Fuß herumzuhüpfen, Geräusche wie „Arghhhhhohggooootttieeeehääärgs!“ hervorzuquetschen, gegen den spontanen Wunsch anzukämpfen mir die Haut vor plötzlich entflammter Spinnenphobie runterzukratzen und entsetzt dieses Tier anzukreischen – um mal ganz dem klassischen weiblichen  Rollenmodel zu entsprechen.

 
Januar 14th, 2011 Alltag | 2 Comments
 
 

Manchmal, manchmal da begegnen sich zwei Fremde, treffen für einen Augenblick aufeinander, bekennen ihre Geheimnisse, laden Schuld ab, verändern Leben und Ansichten, lösen sich plötzlich wieder, streben auseinander und berühren sich nie wieder.

Seit zwei Tagen verfolgt mich eine Begegnung im Wartezimmer. Eine Frau setzt sich neben mich, etwas älter als ich. Nett sieht sie aus, aber mein Magen zieht sich leicht zusammen. Mit irgendeiner Belanglosigkeit zieht sie mich in ein Gespräch, erwähnt ihre Schwangerschaft. Ich lege mein Buch beiseite. Dann, plötzlich, unerwartet, blickt sie mich an und erklärt mir, dass sie  gerade vom Frauenarzt kommt und hier ist um weitere Fragen abklären zu lassen. Ihr Baby ist seit sieben Wochen nicht gewachsen. „Das wird wohl nichts mehr.“, tropft von ihren Lippen. Sie blickt mich an. Blank. Die Worte purzeln zwischen uns zu Boden. Ich schlucke. Blicke ihr ins Gesicht. Sehe eine hauchdünne Schicht heiter-mechanischer Beherrschung, darunter einen dunklen Abgrund. Da sitzt eine Frau neben mir, mit einem toten Baby in ihrem Bauch und erzählt mir von ihren drei lebenden Kindern. Sie weiß es, aber begriffen hat sie es noch nicht. Ich verstehe, warum es aus ihr heraus bricht. Das es vielleicht leichter fällt, das Entsetzliche erstmal einer Wildfremden aufzubürden. Ich sehe, dass sie ein Stück Normalität braucht, die Fremde mit dem toten Kind in sich. Mein Lachen ist vielleicht ein wenig schrill, meine Stimme einen unbestimmten Hauch belegt, von den Tränen die mir hinter den Augen sitzen, aber ich wende mich ihr zu. Rede mit ihr. Schenke ihr etwas Zeit. Versuche einen Schmerz zu mildern, den man nicht erleichtern kann, der noch nicht mal angefangen hat zu brennen.  Bis ich gerufen werde und weg bin, die Wege wieder getrennt sind.

Nachts wälze ich mich durch mein Bett, traumschwer verfolgt von ungeborenen Kindern. Und im Morgengrauen frage ich mich, wieviele Millionen auf diesem Planeten heute einen ähnlichen Weg gegangen sind.

 
April 28th, 2010 Alltag, Menschen | No Comments
 
 

Liebe Frauen auf der Welt, ich habe euch etwas mitgebracht: einen großen Strauß virtueller roter Nelken.

Heute jährt sich der, unter starker Initiative von Clara Zetkin ins Leben gerufene, Tag „für die Rechte der Frauen und den Weltfrieden“ in seiner Gründung zum 100. Mal. Aber Tante Wiki kann das historisch bestimmt besser erklären als ich. Das Goethe Institut veranstaltet anlässlich dieses Jubiläums heute eine Konferenz in Kopenhagen und lädt zu einer Retrospektive ein.

Weltfrauentag? Wozu?

Als Kind konnte ich mit dem Frauentag eher wenig anfangen. Was soll ich feiern? Mich selbst? Meine Gebärmutter? Mein Blut? Das undefinierbare „Weiblichsein“? Auch das Wortungetüm „Frauenrechte“ entzog sich mir früher. Ich war sicher eingebettet in meiner Familie, fühlte mich nie diskriminiert, durfte immer das tun was ich wollte – oder empfand es zumindest so.  Ich wusste nichts von Misshandlung, Beschneidung, Gewalt, Mutlosigkeit, Ungleichheit, gesellschaftlicher Gefangenschaft, zweierlei Maß.

Unvorstellbar war es für mich, dass Frauen jemals nicht frei wählen durften, dass sie unter einer Oberherrschaft standen, ihrem gesetzlichen Vormund Rechenschaft ablegen mussten, nicht arbeiten durften, dass sie einfach nicht zählten, allenfalls einen Wert als Gebärmaschine oder hinter Glas gesetzte, mit Wohlwollen betrachtete, überzüchtete Blume hatten, und doch so viel leisteten.

Heute – und auch nachdem ich eine kampffeministische Phase in meiner Pubertät hinter mir habe 😉 – sehe ich etwas klarer und die brüchige Verbindung zu diesem Tag ist etwas fester. Feiern…? Nunja. Eher Erinnerung. Mahnung. Wachrütteln. Erweisen von Respekt und Achtung. Erhalten ebendieser. Öffnen von Augen. Den brennenden Blick zielgerichtet auf die Fehler und Ungerechtigkeiten dieser Welt lenken. Absichtlich den Finger in die Wunde legen, sehnden Auges und streitbar noch etwas Salz hineinreiben, damit kein trügerischer Frieden darüber wuchern kann.

Vergessen sollte man dabei allerdings auch nicht, dass vieles von dem, was mir heute an veralteten Ansichten, über das, was Frauen tun oder wie sie sein sollten, entgegenschallt, tatsächlich von anderen Frauen entgegengebracht wird. Und ich habe dabei gelernt: auch kultureller Fortschritt kann sich zum Zwang auswachsen und die persönliche Entfaltung beschneiden.

Ich bin dankbar, dass es vor mir Frauen gab, die für unsere Rechte gestritten haben. Ich will euch sagen, dass ich euch sehe. Ebenso wie diejenigen, die auch heute noch – auf den unterschiedlichsten Schauplätzen – kämpfen. Ich bin dankbar, dass ich in Deutschland geboren und aufgewachsen bin. Ich bin dankbar für die Möglichkeiten, die mir als Mädchen hier geboten wurden. Und so sehr ich die Kultur meines Vaters schätze, ihn liebe und wahrscheinlich auch dort die Chance bekommen hätte zu studieren – ich bin verdammt dankbar, dass ich nicht im Irak meinen bisherigen Lebensweg zu gehen hatte. Danke, dass ich es als selbstverständlich ansehen darf frei zu wählen und zu tun was ich will.

Eine Frau

 
März 8th, 2010 Alltag, Menschen | 1 Comment
 
 

Bin noch mitten im Wahlkater – Volk, ihr habt wirklich den Guido gewählt? Aus Protest?!? Ich steh im Wald, aber ehrlich…
Um dieses schwerwiegende Trauma zu verarbeiten haben wir uns erstmal ne Woche nach Prag abgesetzt. Kulturelles Gegenprogramm sozusagen.

Und da ich ja ein Kind des Web2.0 bin und unter vermehrtem Mitteilungsbedürfnis leide, kann man darüber natürlich auch einiges lesen. Mein Gemahl und ich wechseln uns da blogtechnisch ab. Grast einfach den magischen Kessel oder Kai`s Kram regelmäßig ab, oder abonniert uns einfach via Feedreader. Solltet ihr ja sowieso zun. Ab und an zwitschern wir auch.

 
Oktober 4th, 2009 Alltag, Monster - Mumien - Mutationen, Politisch | No Comments
 
 

„Im Leben jedes Menschen gibt es bestimmte Zeitpunkte, Lebensmarken, die sich einbrennen. Diese Ereignisse sind – ob traumatisch wie ein Unfall oder glückselig wie der erste Blick auf das eigene Kind, die mitreißende Euphorie einer Masse – sehr selten. Aber sie hinterlassen ihre sichtbaren und unsichtbaren Spuren. Rückblickend kann man sich immer glasklar an diesen Moment und die das Gehirn flutenden Gedankenfetzen erinnern und noch einen schwachen Schimmer jener Emotionen verspüren, die man damals empfand.“

Vor zwei Jahren habe ich in einem Artkel schon mal gefragt: Wo warst du? Wo hast du dich am 11.09.2001 befunden? Was hast du getan, gemacht, gedacht, gefühlt? Und heute frage ich wieder, ein wenig verwundert über mich selbst. Fast hätte ich das Datum übersehen. Zugeschüttet unter Arbeit, Stress, Lachen und Aktivitäten. Der Mensch ist nicht dazu geschaffen im dauerhaften Entsetzen zu leben. Es macht sich klein, verbirg sich, stumpft ab, nur um dann unbesehen und umso eifriger wieder hervorzuspringen. Aber die Erinnerung ist wichtig, Erinnerung ist auch Aufgabe. Also – wo warst du? Was hast du gedacht? Was gefühlt? Ich weiß das du dich erinnerst.

 
September 11th, 2009 Alltag, Menschen | 2 Comments
 
 
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