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Mir ist gerade aufgefallen, dass die Berlin-Kolumne vor zwei Tagen – am 26.08.  –  Geburtstag hatte und ein ganzes Jahr alt wurde. Happy Birthday to me also irgendwie. Und Happy Birthday für meine heißgeliebte Dornröschen-Berlin-Kolumne.

Anlässlich dieses Datums gibt es als Geschenk eine kleine Liebeserklärung an die Stadt. Sie ist vielleicht ein wenig angelaufen, schmuddelig und hat ein paar Macken (die Erklärung, nicht die Stadt, obwohl das auf sie auch zutrifft), kommt aber aus tiefstem Herzen… 😉

Meine beste Freundin wohnt ja leider nicht in Berlin, sondern irgendwo im tiefsten BaWü. Mehrfach im Jahr verirrt sie sich aber netterweise zu uns. Und falls wir uns dann mal gerade nicht spätrömischer Dekadenz auf dem Sofa hingeben und exzessiv gammeln, die Küche zwecks Koch- & Backorgien überfallen, die Cidre-, Gin- oder Absinth-Vorräte dezimieren oder in tiefsinnige Gespräche beim subversiven Stricken und Spinnen vertieft sind, bewegen wir uns auch mal in der Außenwelt. Fast jedes mal ist sie dann – obwohl eine mehr als toughe Frau – durch irgendwelche Mitberliner verwirrt oder verschreckt, die ihr in den Weg taumeln oder blöde Sprüche reißen und betont dann, dass sie niemals hier leben könnte.

Berlin. Kreischender Schmelztigel – zwischen Glas, Stahl, Ruinen & Abfall.

Zuviel, zu laut, zu freaky. Berlin ist eine Stadt voller Extreme. Voller massiver Gegensätze. Steigt man aus dem dunklen Bauch der Stadt via U-Bahn heraus, weiß man nie, was einen erwartet: Gläserne Stahlpaläste & moderne Spannbeton-Tempel – durchgestylt bis zur letzten perfekt platzierten und auf Hochglanz polierten Granitfliese – prallen auf direkt daneben liegende verwesende, zugewucherte Baubrachen. Wer aufmerksam hin sieht, darf Berlins Schönheit im verrottenden Verfall erblicken:  romantisch dahinbröckelnde Ziegelsteinruinen, eine Birke, die geradlinig durch ein zerborstenes, feuergeschwärztes Dach strebt. Schmiedeeiserner Rost, der in den Himmel wächst und den Zugang zu geheimen Wegen verheißt, müllverhangene Fensterhöhlen und aufgegebene Erde – (scheinbar) vergessene Orte in Berlin, die in mir unweigerlich die Frage auslösen: Was für ein Platz warst du früher? Welche Menschen haben hier ihr Leben gelebt? Warum bist du aufgegeben?
Genauso kann man natürlich auch auf herausgeputzte Altbauten treffen – hoffentlich ohne Pfusch. Quasi das Bindeglied zwischen altem Bau, Moderne, architektonischer Kunst, restauriertem Stuck und natürlich zeitgemäßer Bequemlichkeit.

Das alte Berlin?

Obwohl ich in einem sanierten Altbau (leider ohne dem obligatorischen Stuck, dafür mit dämlich abgehängten Decken) lebe und ihn mir gezielt aussuchte, sind mir die verschrobenen Orte an Berlin mit das Liebste und Sympathischste. Ich muss verliebt lächeln, wenn ich mit der quietschenden, vollgestopften S-Bahn an den zusammengestoppelten Schrebergärtchen mit den kleinen Datschen vorbeitingele. Bei aller Verzauberung für die schmutzige Magie der großen Stadt, bei allem freigiebigen Mitleid, Begeisterung  und jeder vergebenen Münze hat mir Berlin aber auch (über)lebensnotwendiges beigebracht. Schultern zeigen, sich auch in Rücksichtslosigkeit üben, Vorsicht bei Vertrauen walten lassen. Ich fürchte, ich bin als all zu soziales Schäfchen erzogen worden. Meine Vertreibung aus dem Paradies fand zwar auch schon vorher statt, aber dennoch ist es vielleicht ganz gut, dass Berlin mir eine lebensnotwendige Prise Misstrauen mitgab und mir gefährliche Naivität austrieb. Zum Teil jedenfalls. 😉

Standortbestimmung – Wurzeln schlagen

Am Anfang ging es mir hier ähnlich wie meiner Freundin. Sogar sehr viel schlimmer. Ich war verschreckt von der Größe und den wahnsinnigen Gegensätzen, die hier aufeinanderprallen. In den ersten Wochen nach meinem Umzug fühlte ich mich leer, unverwurzelt, ausgerissen, hin- und hergeworfen, allein. Ich (ver-)zweifelte,  fiel mental regelrecht in ein Loch, taumelte orientierungslos umher, fühlte mich, als ob ich alles wie unter tiefem Wasser wahrnehmen würde. Phasenverschoben, unecht, beängstigend. Eine Freundin nahm mich damals bei der Hand. Sie war zu Besuch und genauso überwältigt, fühlte sich vielleicht noch kleiner als ich. Doch zu zweit kann man sich aneinander anlehnen, sich helfen die Augen zu öffnen, zu begreifen und lachend zu seiner Stärke finden. Allein weil sie da war, war ich für uns beide doppelt stark. Gemeinsam erkundeten wir „meinen“ Kiez. Auch die Arbeit in meinem Hinterhofgarten trug nicht unwesentlich dazu bei, dass ich zeitgleich mit meinen tief, in der von mir bezahlten und hier ausgebrachten Erde, eingegrabenen Pflanzen hier langsam Wurzeln schlug.

Lebenshunger – ein Biss Großstadt gefällig?

Und heute? Man soll ja niemals nie sagen. Ich bin eigentlich meist ein ruhiger Mensch. Manchmal extrovertiert, sicherlich irgendwie besonders, Dauerparty benötige ich nicht. Im Herzen bin ich zum Teil in Leipzig und vor allem ein Kind des tiefsten, schmuddeligsten Ruhrpotts… Meine Augen glänzen sehnsüchtig, wenn ich an den rotglühenden Abstich der Hochöfen denke, die den Nachthimmel über Duisburg wie in einem Gemälde von Caspar David Friedrich zum magischem Leuchten bringen. (Ey, wirklich!) Tiefste Heimatgefühle erwachen, wenn ich jemanden im breitesten Ruhrpott-Slang sprechen höre. Ich werde vielleicht ein wenig wehmütig, wenn ich an die Menschen, Plätze und Erfahrungen von früher denke. Aber ich vermisse nichts. Ich bereue diesen Schritt nicht. Ich habe meine Wurzeln ausgebreitet, unter dem Pflaster der Stadt wachsen lassen und sie in die Lebensadern gebohrt, die meine durstige und hungrige Seele nähren. Ich habe so viele spannende und tolle Menschen kennengelernt, so viel Freiheit erlebt, so viel Schönschrecklickes gesehen und willwillwillwill mehr! Und zwar hier. Gerne auch jetzt. Da draußen ist noch so viel, das ich kosten muss. So viele, die es vielleicht wert sind mich kennenzulernen. Hätte ich in dieser Sekunde die Wahl – ich müsste nicht überlegen, was ich wählen würde.

 
August 28th, 2010 Berlin speziell | 1 Comment
 
 
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